Blick auf Kraftorte

 

Drei Monate unverplante Zeit – Zeit, die ich selbst gestalten kann – Zeit ohne Termine und du musst – Zeit für mich  - geschenkte Zeit  - Zeit für Gott. 

Auf das Thema Kraftorte war ich im zurückliegenden Jahr auf der Buchmesse über ein Buch von Anselm Grün mit dem Titel "Kraftorte – Wo Seele und Welt im Einklang sind" gestoßen.

Anselm Grün schreibt in seiner Einleitung: „Seit jeher haben Menschen Kraftorte aufgesucht. In allen Religionen gibt es Kultstätten, die an Orten errichtet worden sind, von denen offensichtlich eine besondere Energie ausgeht. An manchen Orten wird der Mensch innerlich angeregt, an anderen spürt er starke Müdigkeit, die ihn abbringen soll von seinem Aktivismus, damit er sich auf das eine Notwendige, auf Gott und auf seine Seele, konzentriere. Die Geomantie erforscht heute solche Kraftorte und sie stellt fest, dass gerade Wallfahrtsorte oder alte Kirchen an solchen Kraftorten zu finden sind, die eine besondere Energie ausstrahlen.“ Anselm Grün geht es jedoch nicht um Erkenntnisse der Geomantie, sondern er betrachtet Kraftorte, die jede und jeder kennt, ob dort nun besondere Energien messbar sind oder nicht. Er schreibt weiter: „Es hängt immer auch von unserem subjektiven Wahrnehmen ab, welcher Ort uns guttut und an welchem wir persönlich Kraft schöpfen können.“

Er beschreibt eine dreifache Wirkung von Kraftorten: Der Geist gewinnt Klarheit, man kommt zur Ruhe und der Leib kann sich erholen. 

Jede und jeder wird für sich selbst solche Orte haben, sei es der eigene Garten, ein besonderes Bauwerk, die Berge, das Meer… und deren Auswahl ist individuell verschieden. 

Seit einigen Jahren fahre ich nach Möglichkeit für mindestens eine Woche auf eine Nordseeinsel. Schon beim Betreten des Schiffes, wenn mir der Wind ins Gesicht weht, fühle ich mich leichter, der Atem verändert sich, Belastendes fällt von mir ab, Weite ist spürbar.

Auch den Gang durch die Natur, der hier im Hintertaunus bereits von der Haustür aus möglich ist und in kurzer Zeit, Ruhe und Blick in die Weite ermöglicht, erlebe ich dies häufig in ähnlicher Weise. 

Für die Studienzeit hatte ich mir nun auch vorgenommen, „erprobte“ Kraftorte aufzusuchen. 

So kam ich nach Iona, das ist eine Insel in Schottland auf den inneren Hebriden. In den alten Gebäuden eines Klosters aus dem 6. Jahrhundert, die Anfang des 20. Jahrhunderts wieder aufgebaut wurden, hat sich eine religiöse Gemeinschaft gegründet. Anders als andere Gemeinschaften leben die ca. 300 Mitglieder der Gemeinschaft von Iona nicht vor Ort, sondern in ihren jeweiligen Bezügen und kommen das Jahr über immer mal wieder auf die Insel. Dazu kommen einige Personen, die für die verschiedenen Aufgaben ständig vor Ort sind, sowie eine große Zahl von meist jungen Freiwilligen aus der ganzen Welt, die längere oder kürzere Zeit da sind, und in Küche, im Außengelände, im Buchladen und vielem mehr aktiv sind.

Wer diese Gemeinschaft kennenlernen will, kann sich für eine der ausgeschriebenen Wochen anmelden, die von Samstag abend bis Freitag früh dauern und ein strukturiertes Programm haben. Eine Gruppe von ca. 60 Personen lebt dann gemeinsam im Gästehaus und wird auch von 1 – 2 Mitgliedern der Gemeinschaft begleitet, die dafür anreisen. 

Beginnend in der quirligen Stadt Glasgow führt die Reise mit Schiff und Bus über schmale Straßen durch einsame Natur. Vor der letzten kurzen Überfahrt mit der Fähre sieht man das Kloster bereits: ein dunkles Gemäuer in grüner Umgebung.

Zu den Mahlzeiten findet sich  eine buntgemischte Gruppe an den Tischen im Refektorium ein, und natürlich müssen alle (auch die Gäste) Aufgaben übernehmen bei den Mahlzeiten und im Haus. Zweimal täglich (morgens und abends) findet in der Kirche ein gemeinsames Gebet statt, das jeweils von ganz unterschiedlichen Personen auch aus den Reihen der Freiwilligen geleitet wird. Das ist eine der Besonderheiten, es gibt keine Amtsperson, sondern Jede/r kann die Andacht leiten.

Im Sommer gibt es außerdem noch eine Andacht am Mittag, die vor allem von den zahlreichen Tagestouristen besucht wird. Das Gelände des Klosters wird von der schottischen Denkmalbehörde betreut und ist auch ein beliebtes Touristenziel.

Ein starker Schwerpunkt in der Liturgie, die im Lauf der Jahre von der Gemeinschaft entwickelt wurde, ist der Bezug zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Außerdem kommt auffallend oft der „irdische“ Jesus mit seinem Handeln unter den Menschen in den Texten vor. Die Lieder sind ebenfalls selbst entwickelt, aber es wird auch aus dem Gesangbuch der Church of Scotland gesungen. Die Mitglieder sowie die Freunde und Assozierten der Gemeinschaft sind darüber hinaus in ihren jeweiligen Bezügen  engagiert in der Politik, in der Dritte-Welt-Arbeit und vielem mehr. 

Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe...

Claudia Winkler