Die einen haben leuchtende Augen, wenn sie über ihre Kirchengemeinde sprechen, die anderen zucken mit den Achseln, und bei den meisten löst das Wort „Gemeinde“ irgendeine Reaktion dazwischen aus.
Die Einstellung zur Gemeinde hängt stark von den eigenen Erfahrungen ab und von dem Punkt, an dem man in der eigenen Biographie gerade steht. Wer als Kind oder als Jugendlicher in seiner Kirchengemeinde einen Platz gefunden hat, an dem er willkommen war, Stärkung und Spaß erlebt hat, behält das als Grunderfahrung von Angenommensein für das weitere Leben. Wer mit seinem Suchen und Fragen nach Sinn und nach der Möglichkeit, in dieser Welt Einfluss zu nehmen, hier ein Feld gefunden hat, mit anderen Antworten zu finden und seine Kraft zu erproben, der behält meistens einen positiven Bezug, auch wenn er oder sie im Erwachsenenalter und den damit verbundenen beruflichen und familiären Herausforderungen oft nicht aktiv dabei sein kann oder will.
In unserer Zeit gibt es sehr individuelle Wünsche und Erwartungen an das, was eine Gemeinde sein soll und was für den Glauben wichtig ist an Ausdrucksform oder als Form zur Vermittlung. Manche Erwartungen werden nicht erfüllt. Dennoch braucht das Individuelle eine Verbindung zum größeren Ganzen. Die Gemeinde, reformatorisch gedacht als vollwertige „Kirche im Kleinen“, ist dazu der konkrete Ort mit konkreten Menschen. Dabei sein und dabei bleiben ist wichtig, weil christlicher Glaube und christliches Handeln jeweils aktuell auch miteinander „verhandelt“ werden muss. Wozu und für wen sollen wir heute vom Evangelium her da sein? Was bedeutet Hoffnung für mich? Man braucht den anderen Christen, der einem Gottes Wort sagt, um sich nicht um die Wahrheit zu betrügen, sagt sinngemäß Dietrich Bonhoeffer.
Es ist die Stärke einer Kirchengemeinde und nicht ihre Schwäche, dass viele dabei sind, auch wenn sie nicht „aktiv“ sind. Es ist ihre Stärke, dass Menschen ihren Zeitpunkt und ihre Aufgabe finden können, weil es eine Kontinuität der guten Nachricht und der tragfähigen Struktur von Mitbestimmung gibt, an die jede/r anknüpfen kann. Dazu braucht es den berühmten „harten Kern“ derer, die „immer da sind“, die der Kirche beständig Gewicht geben in ihrem Leben. Es gäbe uns heute als eigenständige evangelische Gemeinde in Anspach nicht, wenn nicht seit 425 Jahren Menschen dazu bereit gewesen wären. Es gäbe uns nicht, wenn das Evangelium selbst nicht immer wieder Menschen anziehen und inspirieren würde zum Engagement. Und es gäbe uns nicht, wenn alle immerzu denken würden „Das lass ich mal die anderen machen…“
Interessant ist die Entdeckung, dass diese verschiedenen Arten der Verbindung zur Gemeinde nicht eine unerwünschte Nebenwirkung unseres Zeitgeistes sind, sondern dass schon die Evangelien verschiedene Arten der Verbindungen und des Mitgehens auf dem Weg Jesu im Blick haben. Und keine bleibt ohne Wirkung, ob es die Zwei oder Drei sind, die in Jesu Namen versammelt sind (Mt 18,20), oder ob es die sind, die keine fromme Form zeigen, aber den Willen Gottes tun (Lk 8,19-21). Es gibt die Anfänge, in denen Gottesdienst und Leben und den Besitz zu teilen aufs Engste zusammengehören (Apg.2,42). Es gibt die einmalige Begegnung, die den Menschen verändert und weiterwirkt, ohne dass der Mensch sich der Gemeinschaft um Jesus anschließt (Lk 17, 10-19).
Gut, wenn wir in dieser Vielfalt unsere Verbindung erkennen und anerkennen.
Ursula Trippel