Die Kathedrale von Chartres – ein Wunderwerk der Baukunst
Eine Besonderheit in dieser Kirche ist das in den Boden eingelassene große Labyrinth. Viele Jahrhunderte lang hat es Pilger in diese Kirche gezogen und ist dann in Vergessenheit geraten bzw. hat an Bedeutung verloren. Heute wird es zumindest einmal in der Woche freitags von den sonst darauf stehenden Stühlen befreit und die Besucherinnen und Besucher erhalten die Möglichkeit hindurchzugehen.
Ein zur Verfügung gestellter Flyer in zahlreichen Sprachen weist darauf hin, dass es sich bei dem Labyrinth um einen Weg mit Gott handelt, der in der großen biblischen Tradition des Weges, der Pilgerfahrt steht. Er fordert dazu auf, sich vor dem Eintritt innerlich vorzubereiten, um sich auf diese Reise einzustellen, den Atem zu beruhigen und das Herz zusammenzunehmen, Gedanken, Lasten und Stress zurückzulassen, alles aufzugeben , was man weiß. Dann einzutreten und sich auf den Weg einzulassen, ihm zu folgen, wohin er auch führt, um so eine versteckte im Herzen liegende Quelle des Glaubens erkunden zu gehen. In der Blume, in der Mitte angekommen, aufmerksam zuzuhören und zu empfangen, was gegeben wird und das tiefe Wesen trifft. Auch einige kurze Verse zur Meditation werden angeboten und dazu eingeladen, nach der „Rückkehr“ den eigenen Erlebnissen und Erfahrungen nachzuspüren.
Da die Kathedrale sich einer sehr hohen Besucherzahl erfreut, ist es nicht so einfach, einen ruhigen Moment zu erwischen, um im eigenen Rhythmus hindurchzugehen.
Doch das Labyrinth ist nur ein Teil der großen Schätze, die in dieser Kathedrale zu entdecken sind, sichtbar und verborgen. Die zahlreichen Buntglasfenster sowie die drei großen Fensterrosen erzählen biblische Geschichten und die Lebensläufe von Heiligen – zur Zeit ihrer Entstehung eine Bilderbibel für die Menschen, die nicht lesen konnten. Und doch sind sie durch die Höhe der Decke oft so weit entfernt, dass Einzelheiten nur mit Hilfe eines Fernglases erkennbar sind. Skulpturen im inneren und an den drei Portalen erzählen ebenfalls in unvorstellbarer Fülle von Menschen und ihrer Geschichte mit Gott. Das dahinterliegende theologische Konzept erschließt sich nur langsam mithilfe der schriftlichen Beschreibungen, eines Fernglases und viel Zeit.
In nur 30 Jahren wurde diese Kathedrale im 12. Jahrhundert gebaut auf den Fundamenten eines Vorgängerbaus und der Krypta unter Mithilfe zahlreicher Menschen, die Fenster stifteten, beim Bau halfen oder Geld gaben, beseelt vom Gedanken, einen Bau zur Ehre Gottes zu schaffen mit zur damaligen Zeit neuen Bautechniken, die nun Öffnungen in den Wänden für die Fenster ermöglichten. Kleine Zeichen in den Fenstern weisen bis heute auf die Spender hin, die aus den unterschiedlichen Berufsgruppen stammten.
In noch viel ältere Zeiten führt ein Besuch in den Krypten, die aus zahlreichen Kapellen bestehen. Hier unten ist auch – wie in einer Kapelle im Chorumgang oben – ein Teil der Reliquie ausgestellt, der die Kathedrale auch ihre Bedeutung verdankt – ein Teil des Schleiers von Maria, der der Kathedrale 876 von Karl dem Kahlen, einem Enkel Karls des Großen gestiftet wurde. In dieser Kapelle, die ein wenig den Eindruck von den urchristlichen Katakomben vermittelt, werden bis heute Messen gehalten.
Weiter im Inneren lassen sich noch Überreste der ursprünglichen karolingischen Kirche erahnen und dort steht auch ein 33m tiefer quadratischer Brunnen, der wohl noch aus keltischer Zeit stammt. Später wurde er "Brunnen der Starken Heiligen" genannt, weil dort womöglich die ersten Märtyrer hinabgestürzt wurden.
Neben der großen Zahl von Besucherinnen und Besuchern, die mit unterschiedlichen Beweggründen nach Chartres kommen – auch die Geomantiker interessieren sich sehr für diesen Platz, weil sie dort starke Kraftströme messen – ist und bleibt die Kathedrale aber doch auch ein Ort des Gebetes und der Feier und führt damit die Traditionen all der Menschen weiter, die dorthin gepilgert sind, um Gott die Ehre zu geben.
Claudia Winkler